Andrej Hermlin (*1965, Ost)

Andrej Hermlin (*1965): "Ich war seltsam. Ich war insofern seltsam, als ich viele Dinge, die andere Jugendliche taten, nicht tat. Ich hörte andere Musik, ich kleidete mich anders, ich sprach ein anderes Deutsch, ich habe nicht  berlinert, ich sprach Hochdeutsch und ich interessierte mich für Dinge, für die sich meine Freunde in der Regel nicht interessierten. (...) Warum sich ein Kind in der DDR mit einer russischen Mutter, einem deutsch-jüdischen Schriftsteller-Vater, ohne jemals in Amerika gewesen zu sein ausgerechnet in die Swing-Musik verliebt? Ich weiß es nicht!"

"Doch, doch, doch!"

"Aber abgesehen davon, konnte ich machen, was ich wollte. Wenn ich meinem Vater gesagt hätte, „Ich möchte Stasi-Offizier werden!“ Dann hätte er vielleicht gesagt „Muss das denn unbedingt sein?“ Aber er hätte es mir nicht verboten. Ich hatte immer das Gefühl, was auch immer ich mache, egal ob ich erfolgreich bin oder nicht, hässlich oder schön, „Wir lieben dich!“

Biermann-Affäre

„Und dann kam eine Situation für die ich gar nichts konnte, die aber die Dinge veränderte. Das war die Biermann-Affäre. (...) 

Am nächsten Tag kam ich in die Schule, die Klasse stand vor dem Klassenzimmer und Matthias, der so der Klassenking war, sagte in einer merkwürdigen Mischung aus Furcht und Bewunderung: "Mensch, da hat sich ja dein Vater ganz schön was geleistet!"

"So lebe ich weiter"

"Eines Tages fuhr ich mit dem Auto los zur Charité. Ganz normal. Dann fuhr ich wieder zurück und beobachtete dabei sehr genau, ob hier irgendwo die Volkspolizei steht. Und dann fuhr ich wieder los. Und dann fuhr ich die Grabbeallee mit 100 Kilometern pro Stunde und die Schönhauser Allee mit 160. Nach etwa 6 Minuten war ich an der Charité. Diese Übung diente nur dazu herauszufinden, wie schnell  ich meinen Vaters in Krankenhaus bringen kann. Ich hätte alles getan um ihn zu retten. Alles."