Veysel (*1969, Muş / Wilmersdorf)

"Mein Vater hat vorher zwei Söhne verloren. Einer ist tot geboren, einer ist kurz danach gestorben. Veysel heißt ja "Hoffnung". Und er hat halt gehofft, dass ich überlebe." Veysel Önder (*1969) ist in Muş, in Ostanatolien geboren und wächst in Istanbul auf. Als er 12 ist zieht die Familie nach Berlin in die Blissestraße und Veysel entdeckt eine für ihn völlig neue Welt. Veysel berichtet von Supermärkten und beengten Hinterhöfen, vor allem aber von der entscheidenden schlaflosen Nacht, in der er "Wild Style" sieht und fort an gepackt ist von seiner Leidenschaft für Graffiti und sich in der Berliner Sprayer-Szene bald einen Namen macht als "Amok".

Zuckerwasser

"Wir kommen da rein. Ein Riesenladen. Flure voller Essen! Ich stand da und fragte: "Papa was ist denn das?" "Käsesorten!" "Wie Käsesorten?" "Na, es gibt Käsesorten!" Wir kannten Käse, aber nicht Sorten. "Was ist das?" "Brotsorten". Wir kannten Brot, aber nicht Sorten. Du bist in der Türkei in die Bäckerei gegangen, hast gesagt drei. Du hast aber nicht gesagt Brot. Weil es gab nur Brot da."

 

Freiheit

"Meine Mutter meinte, "da in diesem Innenhof bleibt ihr. Ihr geht nicht da raus!" Und dann waren wir in diesem Innenhof. Und dann stehst du in diesem Innenhof, kannst nach oben gucken und rundherum sind die 4 Wände. Da kommst du dir vor wie in einem Open-Air Gefängnis.  Ich habe immer meiner Mutter gesagt: "Bitte lass uns wenigstens hier auf die Straße rausgehen!" "Nein, ihr geht da nicht raus." 

Graffiti

"Eines Abends kann ich nicht schlafen, und da lief dieser Film. Mein Bruder hat neben mir geschlafen, und ich zu ihm: "Eh, Mehmet, Mehmet, du musst aufstehen! Kuck mal, wie krass das ist!" Aber er nur "Lass mich schlafen!" "Steh auf!" "Nein, lass mich schlafen." Dieser Film war ein Wow-Effekt für mich. Die ganze Musik, das Tanzen, dass man seinen Namen auf Züge sprühen kann und der durch die Stadt fährt, das alles - da habe ich einen Flash gekriegt." 



Birgit (*1969, Steglitz)

Birgit (*1969) ist in Steglitz geboren und rund um den Bayerischen Platz herum aufgewachsen. Sie berichtet von Speerwurfübungen in der Küche und der gemeinsamen Angst von Mutter und Tochter, der Vater könnte einen Job in West-Deutschland annehmen. Mit beginnender Rebellions- und Punkphase entdeckt sie das Berliner Nachtleben und "das einzig Blöde war nachts nach Hause zu kommen. Als ich flügge wurde und abends, nachts weggegangen bin, war das mit dem nach Hause kommen echt ein Problem." 

Berlin verlassen

"Meine Eltern hatten einen westdeutschen Pass für alle. und zwar haben wir uns mit dem zweiten Wohnsitz in Darmstadt angemeldet. Für, das war so ein Credo aus meiner Jugend, "wenn Berlin mal dichtgemacht wird." (...) Es war eigentlich immer subtil, diese Angst, diese latente Angst war da."

 

Edelpunks

"Es gab ja mehrere Arten von Punk. Wir waren eher so Edel- oder Ökopunks. Die in Schöneberg oder Charlottenburg aus gutbürgerlichem Haus kamen und ein Dach über dem Kopf hatten."

Mauerfall

"Als ich geboren wurde stand die Mauer schon 8 Jahre, daher gab es für mich nie die Neugierde, was dahitner ist. Wir hatten keine Ost-Verwandschaft und dadurch hatte die Mauer eher so etwas behütendes. (...) Mein Grundgefühl beim Mauerfall war eher so: "Oh, nee!" 

 



Marcel Exner (*1969, Mitte)

Marcel Exner (*1969) wurde am 7.Oktober 1969 - dem Tag der Republik - in der Charite geboren und ist rund um den Alexanderplatz aufgewachsen. Er berichtet vom verführerischen Duft der Intershops, dem Klau vom Autoschildern und der stets präsenten Mauer: "Ich hatte eine Freundin, die wohnte Bernauer Str., die wohnte 4ter oder 5ter Stock. Da konnte ich direkt auf die Voltastraße rüberkieken. Und da hast du dann dit jesehen, was du sonst nur in den Serien im Fernsehen jesehen hast. Da fängst du och an zu denken: irgendwas läuft hier schief!" Außerdem berichtet er, wie er die Wende verpennt hat, vom hohen Wert von Bravo und Walkman und vom frühen Erwachsenwerden in einer kinderreichen Arbeiterfamilie.  

Gullydeckel

"Für mich sind Bücher sehr wichtig gewesen. Dafür habe ich auch Geld gesammelt. In der Max-Beer-Str. war ein Altstoffhändler und da habe ich einmal einen Gullydeckel - die wurden ausgetauscht und lagen da herum - den habe ich dann da hingeschleppt."

Walkman & Kohle

"Bevor ich ausgezogen bin, waren wir 4 oder 5 Kinder. Ich war der Älteste und musste mich dann nach und nach um die anderen kümmern. Dadurch bin recht früh erwachsen geworden."

Wende: Trenn dich!

"Die Wende hab' ick ganz einfach verpennt. Aus dem einfachen Grunde: Wenn du nicht gerade Nachrichten gesehen hast, haste das ja nicht mitbekommen. Und ich musste am nächsten Morgen um 5:00 wieder raus, nach Treptow zur Arbeit."